de-DE

Karlsruhe atmet das Thema Fahrrad – nicht nur als Fortbewegungsmittel, sondern auch als Ausdruck urbanen Lebensgefühls. Viele Pendler und Alltagsfahrer nutzen das Rad auf den 20 Fahrradstraßen. Über 30 Prozent der Wege werden heute mit dem Fahrrad absolviert.
 

Die ehemalige Residenzstadt mit ihren breiten Straßen und der flachen Topographie ist für Radverkehr prädestiniert. Die Stadt hat mit dem zoologischen Garten, dem Schlossgarten und dem Botanischen Garten viele grüne Ecken, die sich auch mit dem Fahrrad gut besuchen lassen.
 

Ein Vorteil liegt in Karlsruhes Stadtstruktur: Breite Straßen und viele Alleen aus der Residenzzeit bieten viel Raum für die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsarten, wie auch dem Radverkehr, der Straßenbahn und dem Fußgängerverkehr. Das unterscheidet die Stadt von mittelalterlich geprägten Innenstädten wie Heidelberg oder Mainz, wo die Flächenkonkurrenz größer ist.
 

Auch Orte wie der Gutenbergplatz stechen heraus. Dort findet der älteste Markt der Stadt statt und es gibt jährlich im Juli das Lindenblütenfest. Durch die am Platz gelegene Fahrradstraße zieht dies den Radverkehr an.

Dennoch gab es entspanntes Radeln in Karlsruhe nicht immer. Auch in der badischen Hauptstadt wurde das Fahrrad jahrzehntelang vernachlässigt.
 

Obwohl das Fahrrad 1817 von Karl Drais aus Karlsruhe erfunden wurde und obwohl Karlsruhe sowohl 1987 als auch 2005 Etappenort der Tour de France war, war die Stadt nach dem 2. Weltkrieg im deutschlandweiten Vergleich jahrelang keine wirkliche Fahrradstadt. Bei einem Mobilitätstest des ADAC 2004 landete Karlsruhe auf dem 18. Platz von 22 getesteten Städten. Dies wurde zum Wendepunkt: Ein Bicycle-Policy-Audit deckte Schwachstellen der Radinfrastruktur auf. Daraus entstand 2005 ein 20-Punkte-Programm zur Radverkehrsförderung. Obwohl damals behauptet wurde, dass die Ziele nicht erreicht werden würden, hat man sie einige Jahre später sogar vorzeitig übertroffen.
 

Doch Karlsruhe setzte nie auf große Prestigeprojekte wie z.B. Kopenhagen mit spektakulären Brückenbauten oder unlängst die Universitätsstadt Tübingen mit einer großen Brücke über die Bahnschienen. Umso verwunderlicher ist es, dass Karlsruhe im deutschlandweiten Vergleich bei den Großstädten (200.000-500.000 Einwohne)  in puncto Radinfrastruktur ganz vorne rangiert.

Wie wurde Karlsruhe zu einer der besten Fahrradstädte Deutschlands?

Heute gehört Karlsruhe zu den drei großen Fahrradstädten in Deutschland: Neben Münster in Nordrhein-Westfalen ist hier noch Freiburg im Breisgau zu nennen. Beide Städte sind für ihre Radkultur bekannt, während Karlsruhe im nationalen Vergleich aufmerksamkeitsmäßig zu Unrecht etwas untergeht. Dennoch war Karlsruhe in der Radverkehrsanalyse des ADFC 2020 sogar auf Platz 1, 2022 wurde die Stadt hinter Münster zweiter, 2024 knapp hinter Münster und Freiburg dritter. Anmerkung: Ein „Geheimtipp“ ist die Stadt Oldenburg, die 2023 mit einem bemerkenswerten Modalsplit von 47 % Prozent aufwarten konnte!
 

Die Top-3-Platzierung hat sich Karlsruhe redlich verdient. Das merkt man, wenn man durch die Stadt radelt: Egal an welcher Stelle – in Karlsruhe gibt es überall Fahrradstraßen, bei der der Radverkehr gegenüber dem Autoverkehr Vorrang hat und man auch nebeneinander fahren darf. Und schön, dass diese Regelungen von den (meisten) Karlsruher Autofahrern respektiert werden. Dazu gibt es viele andere Maßnahmen, die seit 20 Jahren für den Radverkehr umgesetzt wurden, wie Johannes Schell erklärt. Er ist seit 2004 Radverkehrsbeauftragter der Stadt Karlsruhe und damit ein Urgestein der Radverkehrsförderung, nicht nur in der badischen Stadt, sondern in ganz Deutschland:

„Sichtbare Radfahrstreifen auf der Fahrbahn steigern die objektive Sicherheit, denn die Sichtbeziehung zwischen Rad- und Autofahrenden ist entscheidend – Radwege, die hinter parkenden Autos verlaufen, führen immer wieder zu Unfällen. Deshalb gehört der Radverkehr ins Blickfeld des Kfz-Verkehrs“, weiß Schell aus eigener Erfahrung, „dazu fühlen sich viele Menschen auf den Radfahrstreifen auch subjektiv sicher, sonst hätte sich der Radverkehrsanteil in den letzten Jahren nicht fast verdoppelt.“ Mit vergleichsweise wenig Geld wurden viele sinnvolle Maßnahmen für den Radverkehr umgesetzt. In Karlsruhe konnte der Anteil des Radverkehrs innerhalb von 20 Jahren trotz eher geringer Budgets von 16 auf 31 Prozent fast verdoppelt werden. Das macht Hoffnung, denn Radinfrastruktur muss nicht teuer, sondern gut und verständlich sein.
 

Zum Vergleich: Paris machte in jüngster Zeit viele Schlagzeilen bezüglich seiner neuen Radwege im Zentrum. Ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau ist man hier jetzt bei einem Radverkehrsanteil von 11 Prozent (sicherlich spielt hier die traditionelle Metro auch eine große Rolle).

Nach 30 werden nun 40 % anvisiert

Ein Motor der positiven Entwicklung ist das E-Bike, von dem in Deutschland mit 2,1 Millionen Stück 2023 erstmals mehr als klassische Fahrräder verkauft wurden. Auch wenn man in Karlsruhe sicherlich nicht die Anstiege hat, die es anderswo im süd- und mitteldeutschen Raum zu finden gibt: Ein E-Bike sorgt dafür, dass man weniger verschwitzt ankommt und ist somit auch für den Business- und Pendler-Bereich geeignet.

Es können oft einfache Mittel sein, die mehr Menschen aufs Fahrrad bringen und die dazu führen könnten, den Karlsruher Radverkehrsanteil (Modalsplit) von 30 auf 40 Prozent zu steigern, womit man in der Nähe von niederländischen Städten wie Utrecht oder Groningen käme:
 

In einem Projekt erhielten Pendlerinnen und Pendler die Möglichkeit, drei Wochen lang ein Pedelec zu testen. Die Rückmeldungen waren oft positiv, aber es wurde auch deutlich: Es reicht nicht, ein Rad nur zur Verfügung zu stellen. Es braucht zusätzliche Informationen und Ausstattung – etwa die eigentlich banale Erkenntnis, dass es Regenhosen oder Fahrradtaschen überhaupt gibt.

Selbst Menschen mit einer gewissen Fahrradaffinität sind oft überrascht von den Möglichkeiten. Ein Beispiel: Der Vater einer der Beteiligten – fast 70 Jahre alt – hatte sich ein Pedelec angeschafft, kannte aber keine Fahrradtaschen und war entsprechend begeistert, als er eine geschenkt bekam.

 

Viele Menschen, die (noch) nicht Fahrrad fahren, tun das nicht aus grundsätzlicher Ablehnung, sondern aus Unsicherheit oder Bequemlichkeit. Es geht oft nicht nur um Technik oder Infrastruktur, sondern auch um subjektive Sicherheit und kulturelle Hürden.

 

Auch an dieser Stelle ist die Stadt Karlsruhe aktiv. So gibt es RadChecks, ein RadFrühstück, eine große Critical Mass, Mitmachaktionen wie „Mit dem Rad zur Arbeit“, diverse Möglichkeiten des Bike-Sharings, Fahrradsicherheitstrainings und ein gutes Händlernetzwerk, zu dem auch drei SHIMANO SERVICE CENTER gehören.

Fahrrad studieren in Karlsruhe – mit Professorin Claudia Hille

Fahrrad studieren? Klar, das geht! In Deutschland kann man das seit 2021 im Rahmen von sieben Stiftungsprofessuren. Eine davon hält Prof. Claudia Hille, die seit dem Sommersemester 2024 an der Hochschule Karlsruhe – University of Applied Sciences lehrt. Dank der vom Bund geförderten Stiftungsprofessur kann sie mit einem kleinen Team übers Fahrrad lehren, forschen und diverse Arbeiten der Studierenden zur Mobilität betreuen.
 

In ihrem vorwiegend soziologisch geprägten Forschungsansatz forscht und lehrt sie zum Thema: Wer fährt überhaupt Fahrrad? Wer nicht? Und wieso?

Konkret geht es darum, wie man das Fahrrad als Alltags-Verkehrsmittel fördern kann und wie Mobilität funktioniert. Das passt gut zu der Strategie der Stadt Karlsruhe, auch wenn sie nicht nur in und für Karlsruhe, sondern bundesweit forscht. Dass der Standort für eine Fahrradprofessur sehr attraktiv ist, versteht derjenige, wer mal durch die Stadt radelt.
 

An der Hochschule wird forschungsorientiert, aber praxisnah gearbeitet. Viele Studierende führen Studienarbeiten zur Nutzung, Akzeptanz oder Sicherheit von Radinfrastruktur durch – etwa zur Frage, warum bestimmte Radwege nicht genutzt werden oder welche Zielgruppen davon profitieren.
 

Denn auch sie konstatiert: „Radverkehr muss auch erlebt und nicht nur theoretisch vermittelt werden. Viele Studierende kommen gezielt zu uns, weil sie sich für Radverkehr interessieren.“ Das Berufsbild „Fahrrad“ ist begehrt: Nach einigen Semestern haben viele Studierende schon einen festen Job, z.B. auch bei Stadtverwaltungen, in Aussicht. 
 

Auch Unfälle werden analysiert und Verbesserungsentwürfe erstellt, die dann den Städten, auch der Stadt Karlsruhe, zur Verfügung gestellt wird. So profitieren beide Seiten: Hochschule und kommunale Praxis.
 

Regelmäßig gibt es auch Vortragsreihen zum Radverkehr, so dass hier auch ein Bezug zur Karlsruher Öffentlichkeit hergestellt wird.
 

Doch am besten empfiehlt sich, einfach mal die Stadt zu genießen: Vom Rhein bis Durlach. Vom Schloss Ettlingen bis zum Leopoldshafen. Die Stadt bietet viele schöne Möglichkeiten, mit dem Rad zu verweilen.

Modal Split für ausgewählte Städte in Deutschland

Stadt Jahr Radverkehrsanteil
Münster202247%
Oldenburg202347%
Konstanz202337%
Freiburg im Breisgau202333%
Heidelberg202333%
Karlsruhe201831%
Erlangen202329%
Mainz202326%
Köln202225%
Bremen202323%
München202321%
Mannheim202320%
Düsseldorf202318%
Berlin202318%
Frankfurt am Main202315%
Hamburg202315%
Stuttgart202411%

Fahrradklimatest 2024: Städte zwischen 200.000 und 500.000 Einwohnern (Note)

1. Münster: 2,97

2. Freiburg im Breisgau: 3,03

3. Karlsruhe: 3,05

4. Kiel: 3,27

5. Bonn: 3,62

6. Braunschweig: 3,71

7. Aachen: 3,78

8. Bielefeld: 3,78

9. Kassel: 3,92

10. Mainz: 3,97