de-DE

Vor zwei Jahren hat Tatiana Myk das Ultracycling für sich entdeckt – und ist direkt in die Vollen gegangen: „Ganz oder gar nicht!“ Ihr Einstieg begann mit dem Seven Serpents: Quick Bite (550 Kilometer und 10.000 Höhenmeter von Ljubljana bis ans Mittelmeer) und führte sie im September weiter durch Spaniens Wildnis beim Badlands-Rennen. 2024 steigerte sie sich noch einmal und nahm gleich an drei Long-Distance-Rennen teil: Seven Serpents (850 Kilometer, 17.000 Höhenmeter), Mother North (1.000 Kilometer, 15.000 Höhenmeter) und The GOATS.

 

Im Folgenden teilt Tatiana ihre Erfahrungen beim Mother North, einem unsupported Gravel-Race über 1.000 Kilometer, das durch die atemberaubenden Landschaften Norwegens führt: Fjorde, Trails und verlassene Wälder. Eine Route, die sowohl mental als auch körperlich alles abverlangt – erst recht, wenn man nicht in Topform ist.

 

Wie bereitest du dich auf so ein Abenteuer vor: Training, Fahrrad, Logistik?

 

Tatiana: Mental begann ich mich auf Mother North bereits im Sommer 2023 vorzubereiten, als ich das erste Mal mit meinem Fahrrad in Norwegen war. Es war ein kleiner Fahrrad-Urlaub, der jedoch nicht nach Plan verlief, da beim Transport im Flugzeug meine Hinterradbremse beschädigt wurde. Aufgefallen ist mir das erst, als die Bremse dann nach 60 km im strömenden Regen komplett ausfiel. Doch bereits damals verstand ich, was die regnerische norwegische Wetterlage bedeutet und welche atemberaubende Schönheit dieses Land verbirgt. Das hat mich nicht abgeschreckt – im Gegenteil, es hat mich noch mehr motiviert, bei Mother North in 2024 teilzunehmen.

 

Ich hatte vorher nie an einem Rennen über 1000 Kilometer teilgenommen, und diese Distanz machte mir natürlich Angst. Aber meine Lebensphilosophie ist: "Wenn du es nicht ausprobierst, wirst du nie wissen, ob du es kannst." Also habe ich mich angemeldet.

 

Mein Training besteht einfach darin, dass ich ständig Fahrrad fahre. Ohne Pause. Das ganze Jahr über. Berlin und die Umgebung sind ziemlich flach, daher versuche ich, in andere Länder zu reisen, um in den Bergen zu trainieren und bergauf und bergab zu fahren. Bisher hatte ich keine Möglichkeit, mein Leben so zu organisieren, dass ich 3-5 die Woche gezielt Intervalle trainieren könnte – und ehrlich gesagt, bin ich auch nicht wirklich motiviert, das zu tun.

Wie hast du die Herausforderung in Norwegen eingeschätzt? „Business as usual” oder “Next level adventure”?

 

Tatiana: Mother North war mein viertes Long-Distance-Rennen, und ich war überzeugt, dass es das längste und härteste Rennen für mich im Jahr 2024 sein würde. Diese Einschätzung wurde vor allem durch das berüchtigte Wetter in Norwegen und die Distanz der Strecke geprägt.

 

Zuvor hatte ich Quick Bite 2023 (550 km mit 10.000 Höhenmetern), Badlands 2023 (750 km mit 16.500 Höhenmetern) und Seven Serpents 2024 (850 km mit 17.000 Höhenmetern) bestritten. Allerdings musste ich bei Seven Serpents nach 700 km aufgeben, da ich unterwegs eine Blasenentzündung bekam. Rückblickend würde ich sagen, dass Seven Serpents die bisher härteste Herausforderung war.

 

Mother North hingegen bietet hauptsächlich sogenannten "Gucci-Gravel" und lässt sich überraschend schnell fahren. Was für mich eine große Rolle spielt, sind die Landschaften. Die Route umfasst drei beeindruckende Naturschutzgebiete: Grimsdalen, Mjølkevegen und Rallarvegen.

 

Ich kann nicht behaupten, dass mir alle Anstiege leichtgefallen sind, aber die atemberaubenden Ausblicke, die man während des Aufstiegs erleben darf, waren für mich die größte Belohnung.

Hattest Du Dir schon vorher ein Ziel gesetzt, in welcher Zeit Du das Ziel erreichen möchtest?

 

Tatiana: Als ich die Route plante und analysierte – in drei verschiedenen Apps übrigens – träumte ich davon, das Rennen in 5-6 Tagen zu schaffen. Ursprünglich war der Plan, das Rennen zu dritt zu fahren: zusammen mit meinen Freundinnen Maya und Lotti. Da wir weit voneinander entfernt wohnen, organisierten wir gemeinsame Video-Calls, um Erwartungen, Wünsche und Pläne zu besprechen. So wollten wir mögliche Missverständnisse oder Konflikte unterwegs minimieren.

 

Der Plan war, ein Bivy und Schlafsack mitzunehmen, um bei Bedarf spontan draußen übernachten zu können. Für 2–3 Nächte wollten wir jedoch Unterkünfte wie Hostels, Hotels oder Campingplätze nutzen und die Kosten untereinander aufteilen. Leider sah die Realität ganz anders aus, als wir oder ich es uns vorgestellt hatten.

 

Wie ich jetzt öfter sage: Am Start eines Long-Distance-Rennens zu stehen, gut vorbereitet und in der richtigen Verfassung, ist bereits die halbe Miete. Doch dieses Mal war mein Start alles andere als ideal. Stress bei der Arbeit, der Aufbau eines neuen Fahrrads und persönliche Probleme führten dazu, dass meine Teilnahme bis zuletzt auf der Kippe stand.

 

Ich reiste mit einer eindeutigen Bronchitis nach Norwegen. Zwar hatte ich kein Fieber, aber die Hustenanfälle waren so stark, dass ich manchmal das Gefühl hatte, meine Lungen auszuhusten. Es tat mir unglaublich weh, so krank zu sein und das Rennen nicht gemeinsam mit den Mädchen starten zu können. Ich hatte auch Angst, nicht nur mir, sondern auch ihnen dadurch zu schaden.

 

Schließlich ging es mir einen Tag vor dem Rennen etwas besser, und ich beschloss, dennoch an den Start zu gehen – was auch immer passieren würde.

Die Strecke führte meist über Gravel-Straßen und -Wege: Wie sah Dein Setup für das Rennen aus? MTB oder Gravel? Welche Komponenten, Übersetzung und Reifen hast Du gewählt?

 

Tatiana: Vom Veranstalter wusste ich, dass die Route der Mother North ein relativ schnelles Rennen mit guten Gravel-Wegen, ohne technische Abfahrten und mit langen Anstiegen sein würde. Daher entschied ich mich vor dem Rennen, einen neuen Gravel-Titanrahmen von 8bar Bikes: MITTE Ti in Größe XS aufzubauen – mit der neuen SHIMANO GRX Di2 2x12 - Gruppe.

 

Ich hatte vorher nie eine 2x-Gravel-Schaltung ausprobiert und war begeistert von dieser Möglichkeit. Mit einer 1x-Schaltung fühle ich mich oft in Anstiegen wohl, aber bei Abfahrten oder leicht abschüssigen Geraden fehlt mir manchmal der „extra Gang“, um mehr Tempo aufzunehmen. Mit der 2x-Schaltung hatte ich dieses Problem nicht.

 

Es sind die kleinen Komfortdetails, die den Unterschied machen: Die zusätzlichen Knöpfe an den GRX-Di2-Hebeln ermöglichten es mir, den Bildschirm meines Garmins zu wechseln, ohne die Hände vom Lenker zu nehmen. Dadurch konnte ich auch die Lautstärke meines Lautsprechers regulieren oder Songs überspringen. Gerade bei Müdigkeit, Langeweile oder aus Neugier blättert man gern mal durch den Garmin, um anstehende Anstiege zu kontrollieren, die Herzfrequenz zu überprüfen oder die Geschwindigkeit in einer Abfahrt zu sehen. Dabei ist es definitiv sicherer, die Hände am Lenker zu lassen.

 

Ein weiterer entscheidender Faktor war mein Aerobar, das ich für dieses Rennen ausprobiert habe – ein absoluter Game-Changer für mich. In der Aeroposition konnte ich andere Muskelgruppen beanspruchen und habe mein „Kommandozentrum“ eingerichtet: mit Handyhalter, Garmin, Licht und einem Snackbag von Gramm. So konnte ich meine Kamera schnell greifen, um Fotos während der Fahrt zu machen, oder mich unterwegs verpflegen, ohne anhalten zu müssen.

 

Nachdem ich alle anspruchsvollen Abfahrten bei den Badlands mit den 45 mm Schwalbe Overland gemeistert hatte, wurde ich ein großer Fan dieser Reifen. Sie bieten hervorragenden Grip in Kurven, sind extrem pannensicher (ich hatte mit Tubeless nie Probleme) und rollen ausgezeichnet auf Asphalt.

Woran hast Du Dich bei der Wahl von Fahrrad und Komponenten orientiert?

 

Tatiana: Mein wichtigster Orientierungspunkt bin ich selbst und mein Körper. Ich bin klein und habe eine Vulva – das klingt vielleicht direkt, aber bei Long-Distance-Rennen kann man solche Aspekte nicht ignorieren oder darauf hoffen, dass irgendwelche standardisierten Komponenten einfach für mich passen.

 

Mit meinen 160 cm Körpergröße benötige ich einen kleinen Rahmen, die kürzesten Kurbeln und einen Lenker mit 38 cm Breite. Diese Anforderungen schränken meine Auswahl an Zubehör wie Taschen erheblich ein. Nicht jede Satteltasche passt zwischen mein Hinterrad und den Sattel, und auch bei Lenkertaschen wird es oft eng. Wenn ich sie etwas voller packe, kann ich die Gänge manchmal nicht mehr problemlos schalten. Genau deshalb schätze ich Di2-Schaltungen. Das einfache Drücken eines Knopfes löst dieses Problem und erleichtert mir die Handhabung deutlich.

 

Ich habe in meinem Leben vier Bikefittings für verschiedene Fahrräder gemacht, um besser zu verstehen, welche Komponenten ich benötige. Trotzdem lerne ich nach jedem Rennen Neues über mich und meine Bedürfnisse. Die Suche nach dem perfekten Fahrrad oder Sattel wird wahrscheinlich nie enden, weil ich mich selbst weiterentwickle und sich meine Interessen verändern.

 

Während ich 2022 meine ersten 300 km absolvierte, habe ich 2024 bereits eine 1000-km-Strecke ins Visier genommen – das zeigt, wie sehr sich meine Anforderungen und Ziele in kurzer Zeit verändert haben.

Wie warst Du mit Deinem Setup zufrieden?

 

Tatiana: Sehr zufrieden! Für dieses Rennen habe ich all mein Wissen und die Erfahrungen der letzten Jahre eingebracht. Der Ansatz von Versuch und Irrtum hat sich für mich als der effektivste erwiesen, auch wenn er manchmal schmerzhaft und langwierig ist. Eine Sache, die ich gelernt habe: Was für andere funktioniert, muss nicht unbedingt auch für mich passen.

 

Gab es technische Probleme während des Rennens?

 

Tatiana: Nein, und das lag wohl an der guten Vorbereitung und daran, dass das Fahrrad noch ziemlich „frisch“ war. Ich hatte diesmal keinerlei technische Probleme. Ich betone „diesmal“, weil ich vor den Badlands eine ähnliche Situation hatte: Ich ließ ein neues Fahrrad für das Rennen bauen und wählte die falsche Rahmengröße. Durch diese schmerzhafte Erfahrung weiß ich jetzt mit Sicherheit, dass ein S-Rahmen für mich zu groß ist – nur XS, nur Hardcore!

 

Was war die größte Herausforderung beim Rennen? Streckenprofil, Wetter, Kälte, Krankheit?

 

Tatiana: Am Anfang dachte ich, es wäre mein Husten. Bereits nach 20 Kilometern verabschiedete ich mich von meinen Freundinnen. In den Anstiegen war ich deutlich schwächer und wollte nicht riskieren, ihre Erfahrung und ihr Abenteuer durch meinen Zustand zu beeinträchtigen. Es war ein sehr emotionaler Moment – wir haben buchstäblich geweint. Als ich ihnen nachschaute, verabschiedete ich mich nicht nur von ihnen, sondern auch von meinen eigenen Erwartungen.

 

Stell dir vor: Nach nur 20 Kilometern war ich plötzlich allein – mit meinem Husten, meinem Fahrrad und einem Plan, der eigentlich nicht existierte. Doch in diesem Moment wurde es unglaublich spannend! Ich beschloss, immer nur 12 Stunden im Voraus zu planen und einfach zu sehen, wohin mich dieses Abenteuer führen würde. Spoiler: Nach fünf Tagen fand ich mich bei Kilometer 750 wieder und war nicht traurig, die Entscheidung zu treffen, auszusteigen.

 

Denn in den letzten 24 Stunden vor meinem DNF hatte ich zehn Stunden im Regen verbracht, und das war einfach nicht mehr angenehm.

 

Deshalb kann ich sagen, dass das größte Problem für meinen physischen und mentalen Zustand der Regen und der starke Gegenwind sind.

War das Abrechen des Rennens wegen deiner Krankheit eine Entscheidung der Vernunft oder ging es einfach nicht mehr weiter?

 

Tatiana: Wie ich bereits erwähnt habe, begann alles mit dem Abschied von den Mädels und unseren Plänen bei Kilometer 20, und endete mit einem DNF bei km 750. Aber zwischen diesen Ereignissen hatte ich wundervolle Tage in völliger Einsamkeit und meine persönlichen Abenteuer. 

 

Jeden Tag gegen Mittag suchte ich mir einen Schlafplatz und fuhr langsam aber stetig darauf zu, füllte meine Thermosflasche mit heißem Tee und erlaubte mir, jederzeit anzuhalten, wenn ich wollte. Die ersten drei Tage waren regenfrei. Manchmal gab es starken Wind, manchmal war es bewölkt, aber es regnete nicht in Strömen. 

 

Jede Nacht schlief ich in Holz-Blockhütten auf dem Campingplatz und beruhigte meinen Husten mit Tigerbalm und heißem Tee. Während des Tags beim Radfahren störte mich der Husten nicht. Ich fuhr langsam die Hügel hinauf, hielt meine Herzfrequenz niedrig und versuchte gleichmäßig zu atmen, während ich die Aussicht genoss. Die letzten zwei Tage brachte jedoch starker Regen im Wechsel mit starkem Wind, und ich begann zu frieren, wobei der Husten während der Fahrt wieder auftrat. 

 

Jeden Tag schrieb ich mit den Mädels und verfolgte, wo sie waren. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir etwa 150 km Abstand, als Lotti schrieb, dass sie aufgrund starker Knieschmerzen aus dem Rennen aussteigen würde und im Hotel bleiben wollte, während Maya weiter fuhr. Nachdem ich alle Pro- und Contra-Argumente abgewogen hatte, bat ich Lotti, auf mich zu warten, damit wir zusammen ins Ziel fahren konnten. Bei 700 km erreichte ich mein letztes Ziel: den vierten Checkpoint. Nachdem ich bei strömendem Regen Souvenirs im Dorf Finse gekauft hatte, fuhr ich noch 50 km bis zum Ort, an dem meine Freunde und Lotti mit dem Auto auf mich warteten. Auf dem Zielvideo, das sie aufgenommen haben, hustete ich unaufhörlich und war völlig durchnässt. Daher war ich wirklich froh, die Perspektive zu haben, das Rennen in guter Gesellschaft zu beenden.

War es dein erstes DNF? Wie schwer fällt es dir, trotzdem stolz auf deine Leistung zu sein?

 

Tatiana: Es ist das zweite Mal, dass ich ein Long-Distance-Rennen nicht beendet habe. Ehrlich gesagt, war ich dieses Mal weder beschämt noch enttäuscht – oder bereue es im Nachhinein. Ich erinnere mich noch gut, dass ich das erste Mal beim Seven Serpents geweint habe, als ich aufgeben musste. Ich habe das Mother North Rennen in nicht idealer Verfassung begonnen, aber es war trotzdem das beste Abenteuer, das ich je mit meinem Fahrrad gemacht habe. Ich habe die Strecke wirklich gemocht und ich bin froh, dass ich alle Checkpoints absolvieren konnte und die 750 km-Marke erreicht habe.

 

Nach dem Mother North bist Du auch noch in Portugal gewesen und bist dort ein weiteres Ultradistanzrennen gefahren. Bestimmt bei bestem Wetter, oder?

 

Tatiana: Tja. Was soll ich sagen, solch ein Wetter hätte ich in Norwegen erwartet, aber nicht in Portugal. 

 

Anfang Oktober sind mein Partner und ich das The GOATS-Rennen (750 Kilometer mit 18.000 Höhenmetern) gestartet und haben es als drittplatziertes Paar beendet. Von fast 90 Teilnehmern haben weniger als die Hälfte das Rennen abgeschlossen. Der Veranstalter musste das Rennen zweimal 'anhalten' wegen eines Hurrikans und der gefährlichen Streckenbedingungen aufgrund des Wetters, während wir immer wieder bis auf die Haut durchnässt wurden, bis zu 2-4 Mal am Tag. 

 

Ich weiß nicht, wie wir es geschafft haben, aber wir haben es geschafft. Ich denke, allein hätte ich keine Motivation gefunden, das Rennen unter solchen Wetterbedingungen zu beenden. Aber zu zweit haben wir uns gegenseitig immer wieder motiviert. So habe ich unvergessliche Erfahrungen im Fahren im Regen und der Aufrechterhaltung meiner Energie unter extremen Wetterbedingungen gesammelt.